bvvp– Info über Psychotherapie:
Ist Psychotherapie überhaupt effektiv?
Seit es Psychotherapie gibt, wird ihre Nützlichkeit immer wieder infrage gestellt. Man hat behauptet, daß Psychotherapien zu lange dauern würden, daß sie nicht effektiv und wirtschaftlich seien, daß Pillen und Psychorpharmaka viel schneller und billiger helfen würden, daß Therapien unselbständig und abhängig machen, daß sie alles nur schlimmer machen oder auch, daß sie überhaupt nichts bewirken. Was stimmt denn nun?
Welche Therapieformen sind überprüft?
Sicher hilft nicht jede als Psychotherapie bezeichete Behandlung bei irgendeinem Therapeuten. Leider gibt es immer noch zahllose selbsternannte „Psychotherapeuten“, die ahnungslosen Patienten ihre Dienste anbieten, die aber ihre Kompetenz nirgendwo oder nur bei fragwürdigen Instituten oder Institutionen nachgewiesen haben, die außerdem weder die Approbation als Arzt oder als Psychologischer Psychotherapeut noch als Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut besitzen – oder ab 1999 besitzen werden. (Obwohl dann nur diese Gruppen nach dem Psychotherapeutengesetz die Erlaubnis zur Ausübung von Psychotherapie haben werden, wird der „graue Psychomarkt“ sicher nicht plötzlich verschwinden.
Es gibt außerdem zahllose Verfahren, Techniken und Methoden auf dem „Psychomarkt“, die nicht ansatzweise wissenschaftlich geprüft sind – und beinahe täglich kommen neue hinzu. Approbierte Psychotherapeuten müssen für ihre Approbation allerdings den Nachweis erbringen, daß sie in wissenschaftlich anerkannten Verfahren ausgebildet sind. Über die wissenschaftliche Anerkennung dieser Verfahren wird – entsprechend dem Psychotherapeutengesetz – zukünftig der sog. „Wissenschaftliche Beirat“ entscheiden.
Bis dahin können sicher nur die in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) zugelassenen Verfahren als wissenschaftlich anerkannt gelten. Zu diesen in den Psychotherapie-Richtlinien festgelegten Verfahren gehöre psychoanalytische, tiefenpsychologisch fundierte und verhaltenstherapeutische Verfahren jeweils in ihr verschiedenen Varianten.
Was gibt es für Beweise?
Die Krankenkassen zahlen nicht einfach nur aus historischen, politischen oder sonstigen sachfremden Gründen bestimmte Verfahren und andere nicht – wie manchmal behauptet wird. Psychotherapie wurde ja überhaupt erst im Jahre 1967 zur Kassenleistung, nachdem Dührssen (1962) nachgewiesen hat, daß psychoanalytisch behandelte Patienten in den Folgejahren nach der Therapie signifikant weniger (körperlich) krank waren als andere – wodurch die Kassen trotz bezahlter Langzeittherapie letztlich viel Geld sparen könnten. Auch die neuere hiesige und internationale Forschung bestätigt die Nützlichkeit von Psychotherapie – und dabei überwiegend die der drei hier bereits anerkannten Verfahren (s. z.B. Luborsky et al. 1975, Grawe et al. 1994).
Je kürzer, umso effektiver?
Strittig ist bei den neueren Forschungsergebnissen weniger der prinzielle Nutzen von psychoanalytischen, tiefenpsychologischen oder verhaltenstherapeutischen Behandlungen, sondern mehr die Frage von Länge und Dauer einer Therapie. Grawe et al. (1994) kamen z.B. in ihrer vielbeachteten und umfangreichen Meta-Analyse zu dem Schluß, daß insbesondere Verhaltenstherapie kurz, effektiv und ökonomisch sei und daß man besser eine Therapie abbreche, wenn sie nicht innerhalb eines Jahres, d.h. von 40 bis 50 Stunden erfolgreich sei.
Damit wirbelte Grawe viel Staub auf, da er so explizit die analytische Langzeitbehandlung ins Visier genommen hatte. Die Gültigkeit und Aussagekraft seiner Ergebnisse wurde in der Folge u.a. aus methodischen Gründen vielfach angezweifelt oder auch widerlegt (vgl. z.B. Mertens 1994, Rüger 1994, Leichsenring 1996). Bei kritischer Auswertung der von Grawe (a.a.O.) herangezogenen Untersuchungen ergab sich für analytische Therapie – in diesem Fall Kurztherapie – und Verhaltenstherapie eine ähnliche Wirksamkeit (Leichsenring1996). Hinzu kommt, daß die Verhaltenstherapie inzwischen selbst zu längeren Behandlungszeiten tendiert und daß andere, neuere Forscher zu Ergebnissen kommen, die auch die Wirk-samkeit von Langzeitbehandlung stützen. Daher sollen hier einige der jüngeren Studien zusammengefaßt dargestellt werden – wobei „jünger“ bei Psychotherapiestudien nicht heißen kann, daß sie alle brandneu sind, da diese Studien in der Regel sehr teuer und zeitaufwendig sind.
Je länger, umso besser
Die spektakulärste neuere Studie ist zweifellos die Studie des Consumer Reports (Consumer Reports 1995, Seligman 1995, Hutterer 1996, Mackenthun 1997), einer Zeitschrift einer amerikanischen Verbraucherorganisation. Spektakulär daran ist, daß es sich nicht um eine quasiexperimentelle „Labor“-Studie handelt, daß eine unglaublich große Zahl „echter“ Patienten Daten lieferte und daß Seligman als eine Galionsfigur der experimentellen Psychotherapieforschung hier von dem klassisch-experimentenllen Forschungsansatz abrückt, weil er zu unergiebig sei, und er jetzt solchen Feld-Forschungen, die seiner Ansicht nach realistischere Ergebnisse liefern, den Vorzug gibt.
7000 Leser des Consumer Reports antworteten hier auf Fragen zur Behandlung psychischer Probleme. 4100 davon hatten professionelle, 2900 davon wiederum hatten – im weitesten Sinne – irgendeine Art psycho-professioneller Hilfe in Anspruch genommen. Die Auswertung der Fragebögen brachte eine Reihe interessanter Ergebnisse. So bestätigte sich zunächst, daß Psychotherapie bei psychischen Belastungen oder Störungen substantielle Veränderungen bewirkt, in dem Sinne daß 44% Patienten sich geheilt fühlten und es 43% hinterher deutlich besser ging und sie mit ihren Problemen wesentlich besser fertig wurden. Die Wirksamkeit von Psychotherapie ging dabei eindeutig über Symptomreduktion hinaus und – für manche überraschend – je länger die Therapie dauerte, umso größer war die Wirksamkeit. Besonders erfolgreich waren diejenigen Patienten, die länger als 2 Jahre Therapie hatten. Insgesamt erwies sich keine Therapiemethode der anderen als überlegen, wobei Hutterer (1997) anmerkt, daß die Methoden keinem „treatment manual“ entsprachen, sondern so rein oder so eklektisch-gemischt waren, wie man sie im Feld vorgefunden habe. Auch eine Kombination von Pharmakotherapie und Psychotherapie war einer alleinigen Psychotherapie nicht überlegen – sogar unabhängig von der vorliegenden Störung. Es zeigte sich außerdem klar, daß qualifiziertere Psychotherapeuten bessere Ergebnisse erzielten – vor allem wenn die Patienten sich ihre Therapeuten aussuchen konnten – und daß Ärzte mit medikamentösen Behandlungen nur kurzfristig helfen konnten oder die Patienten unangemessen lange selber zu kurieren versuchten. Hutterer (1996) stellt hierzu fest: „Als Anlaufstelle für Beschwerden jeglicher Art (auch psychische Probleme) ist der praktische Arzt oft überfordert, was die Behandlung psychischer Störungen angeht, aber auch was die Diagnose und Überweisung angeht.“ Er kommt zusammenfassend in seiner kritischen Sichtung der Studie zu dem Schluß, daß Krankenkassen den Behandlungserfolg ernsthaft schmälern, wenn sie die Dauer zu sehr begrenzen, denn solche Patienten zeigten signifikant schlechtere Ergebnisse. Immerhin mußte jeder fünfte Patient die Therapie vorzeitig aus Kostengründen beenden.
Und wie schneidet psychoanalytische Therapie ab?
Eine im Design vergleichbare, aber natürlich viel kleinere Studie, deren Ergebnisse aber für Deutschland als wesentlich repräsentativer angesehen werden müssen, ist die von Breyer und Kollegen (1997), da hier nur Behandlungen in Richtlinienpsychotherapie bei Vertragspsychotherapeuten untersucht wurde. Konkret wurden alle ehemaligen Patienten befragt, die eine analytische Langzeittherapie bei einer Zufallsstichprobe von Psychoanalytikern der DGPT und DGIP (des adlerianisch-psychoanalytischen Verbandes in der Dachgesellschaft DGPT) gemacht haben. Aus den insgesamt 604 verwertbaren Patientenantworten sind deutliche Verbesserungen des Befindens zu erkennen, die auch nach der Therapie anhalten. Der Therapieerfolg ist umso größer, je schlechter der selbsteingeschätze Gesundheitszustand zu Beginn der Therapie war und je länger die Therapie dauert. Auch profitieren jüngere Patienten deutlich mehr als ältere. Weiter ließen sich nennenswerte Rückgänge im Verlauf der Therapie von Inanspruchnahmen von Gesundheitsleistungen (Arztbesuche, Krankenhausaufenthalte) und der Krankschreibungs-Tage feststellen. Unterschiede im Therapieerfolg, der mit den Grundberufen der behandelnden Psychoanalytiker oder ihren analytischen Ausrichtungen zu tun hatte, ließen sich nicht feststellen. Die Autoren stellen aufgrund dieser Daten resümierend fest, daß die aus einer analytischen Langzeitbehandlung resultierenden Einsparungen bereits in dem kurzen Zeitraum zwischen Therapieende und Befragung (durchschnittlich 2,5 Jahre) rund ein Viertel der gesamten Therapiekosten betragen. Bei der kostengünstigeren Gruppentherapie betragen die Einsparungen sogar bereits das dreifache.
Psychoanalyse spart den Kassen Geld
Auch eine retrospektive Ergebnisstudie von Keller et al. (1997) zur Wirksamkeit jungianischer Psychoana-lysen und Psychotherapien konnte außerordentliche und langandauernde Effekte nachwiesen. Besonders interessant ist hierbei, daß es sich vorwiegend um schwere und vielfach chronifizierte Fälle handelte, die zu einem Viertel mit tiefenpsychologisch fundierter Therapie und zu mehr als drei Viertel mit Lang-zeitanalysen behandelt wurden. 70-94% der 111 teilnehmenden Patienten schätzten 6 Jahre nach der Therapie sowohl ihre körperliche oder psychische Symptomatik, als auch ihre soziale Funktions- und berufliche Leistungsfähigkeit als gut bis sehr gut gebessert ein. Auch psychometrische Tests und prae-post-Beurteilungen bestätigten dies. Darüberhinaus wurde eine bedeutsame Verringerung der Arbeitsunfähigkeitstage und der Krankenhaustage (50-87%) festgestellt, die auch noch 5 Jahre nach der Therapie bei ca. 50% lag. Da die Patienten vor ihrer Therapie hier deutlich über dem Durchschnitt aller Patienten der Barmer Ersatzkasse lagen, nach der Therapie aber deutlich unter dem Durchschnitt, betonen Keller et al. (a.a. O.), daß der vielfach angezweifelte Nutzen der letztgenannten Therapieform bestätigt wurde und besonders in Langzeitanalysen schwerkranker oder schon chronifizierter Patienten ein außerordentliches Kostener-sparnispotential für die Kassen liegt, das bisher nicht genügend gewürdigt wird.
Tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie und Verhaltenstherapie mit ähnlichem Befund
In Sachsen wurde im Auftrag der Kassenärztlichen Vereinigung von der Universität Halle (Kühn et al. 1998) eine weitere Studie durchgeführt. Es wurde hier eine Stichprobe von 32 Vertragspsychotherapeuten ausgewählt, die gebeten wurden, Fragebögen weiterzuleiten. Zwei Drittel der Therapeuten waren in tiefenpsychologisch fundierter und ein Drittel war in Verhaltenstherapie ausgebildet. Die Auswertung ist noch nicht völlig abgeschlossen, aber aufgrund der insgesamt 132 verwertbaren Patientenantworten kann bereits jetzt festgestellt werden, daß fast alle Patienten (91-93%) mit dem Erfolg ihrer Behandlung zufrieden waren. 50% der Befragten waren nach der Therapie lebenszufriedener, 62% gaben an, daß ihre Ängste abgenommen haben und 83% glauben schließlich, effektivere Konfliktbewältigungsstrategien zu besitzen.
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Fazit
Aus dieser Auswahl neuerer Outcome-Studies … läßt sich u.E. nur der Schluß ziehen, daß alle Richtlinienverfahren effektiv und ökonomisch sind – sogar die viel kritisierten Langzeitbehandlungen. Auch die vielfach von nicht-psychotherapeutischen Ärztegruppen, von den pharma-unterstützten Ärztezeitungen und von der Pharmaindustrie selbst vorgetragene Behauptung, Psychotherapie sei im Vergleich zu Psychopharmakobehandlung wenig wirksam und außerdem viel zu teuer, wird eindeutig widerlegt. Lege artis durchgeführte Psychotherapie, d.h. Richtlinienpsychotherapie, holt den Kostenträgern in relativ kurzer Zeit ihre Aufwendungen wieder herein durch weniger Arztbesuche, geringeren Medikamentenverbrauch, verringerte Krankentage und Krankenhausaufenthalte. Das kann natürlich nicht jedem Anbieter im Gesundheitswesen recht sein.
(Dr. F.R. Deister, bvvp)
Quellen
– Breyer, F., Heinzel, R., Klein, Th.: Kosten und Nutzen ambulanter Psychoanalyse in Deutschland. Gesundh.ökon. Qual.manag. 2 (1997) 59-73 – Consumer Reports: Mental Health: Does therapy help? November 1995, 734-739 – Dührssen, A. (1962): Katamnestische Ergebnisse bei 1004 Patienten nach analytischer Psychotherapie. Z. psychosom. Med., 8, 94-113 – Grawe, K., Donati, R., Bernauer, F.: Psychotherapie im Wandel. Von der Konfession zur Profession. Hogrefe, Göttingen, Bern,Toronto, Seattle 1994 – Hutterer, R.: Die Consumer Reports Studie: Längere Psychotherapien sind effektiver. Psychotherapie Forum, Supplement, 4., 1,1996, 2-6 – Keller, W., Westhoff, G., Dilg, R., Rohner, R., Stundt, H.H. et al.: Langzeitstudien zeigen Langzeitwirkung: Ergebnisse einer empirischen Untersuchung zu Effektivität der (jungianischen) Psychoanalyse und Psychotherapie – eine katamnestische Studie. Vortrag Workshop zur Qualitätssicherung mit dem VdAK Siegburg 1997 – Kühn, A., Liedtke, A., Schulze, H., Kleinschmidt, U., Hennig, H.: Erste Ergebnisse einer Evaluierung der psychotherapeutischen Versorgung aus der Patienten- und der Psychotherapeutenperspektive im Bundesland Sachsen. Pro, Ztschr. f.d. Kassenarzt, 2, 1998, 54-55 – Leichsenring, F: Zur Metaanalyse von Grawe. Gruppenpsychoth. Gruppendyn. 1996, 32, 205-234 – Luborsky, L., Singer, B., L.: Comparative studies of psychotherapies. Arch. Gen. Psychiatry, 1975, 32, 995-1008 – Mackenthun, G.: Länger hilft besser. Frankfurter Rundschau , 18.1.1997 – Mertens; W.: Psychoanalyse auf dem Prüfstand? Eine Erwiderung auf die Meta-Analyse von Klaus Grawe. Berlin, München 1994 – Rüger, B.: Kritische Bemerkungen zu den statistischen Methoden in: Grawe, K., Donati, R., Bernauer, F.: „Psychotherapie im Wandel. Von der Konfession zur Profession“. Z. Psychosom. Med. Psychoanal. 1994, 40, 368-384 – Seligman, M.: The Effectiveness of Psychotherapy: The Consumer Reports Study. Am. Psychol. December 1995, 963-974